CD: LESS AND MORE
1999, Unit Records CD UTR 4121 // 11 Tracks // 50:35
Musicians Christoph Gallio soprano & alto sax // Dominique Girod double bass // Dieter Ulrich drums // Production notes All copositions are by Christoph Gallio (exept T1 Dieter Ulrich and T8 by Dominique Girod) // Recorded at Radiostudio Zurich by Martin Pearson, 1997 August 2 & 3 // Edited and mixed at Elephant Chatâteau Studio in Basel by Max Spielmann // Mastered by Peter Pfister // Coproduced by Schweizer Radio DRS 2 // Liner notes by Bert Noglik // Graphic design by Anne Hoffmann // Cover art by Alex Katz
Liner notes
Bert Noglik // Leipzig, October 1998
Überraschend zunächst die Klarheit und Transparenz. Drei Musiker, die in der Lage sind aufzudecken, was sie spielen. Da wird nicht gemogelt, nicht schnell vertuscht, sondern miterlebbar und nachvollziehbar vorgestellt, was an Substanz da ist. Vieles leuchtet auf, spielt hinein, kommt zum Vorschein: der Drive des Jazz, eine kammermusikalische, auf europäische Fundierungen verweisende Spielhaltung, die Fähigkeit, sich dem spontanen Fluss hinzugeben ebenso wie die Gabe, übersichtlich zu strukturieren. Der Zusammenhalt der Drei beruht auf gegenseitigem Respekt, sensiblen Reaktionen beim aufeinander hören und miteinander musizieren. Oftmals agieren alle drei solistisch und zugleich im Sinne eines Frameworks, das sie miteinander verbindet und gegenseitig stützt. Kaum weniger beeindruckend als die Klarheit wirkt der Mut zur Sparsamkeit. Die Sopran- und Altsaxophonstimme von Christoph Gallio lässt an Liedhaftes, an Swing und Bebop, zuweilen auch an Neue Musik denken. Doch wahrt er dabei eine Abstraktionsebene, die all das in einer eigenen Sprache erscheinen lässt. Sofern Inspirationsquellen einfliessen, werden sie nicht zitiert, sondern verinnerlicht. Charlie Parker, John Coltrane oder Steve Lacy spiegeln sich von fern her in einer Musik, die sich ihrer Traditionen bewusst ist, ohne sie ausspielen zu müssen. Die signifikanten Eigenkompositionen entsprechen Gallios Spielweise und sind der Interaktion im Trio auf den Leib geschrieben. Was Dominique Girod an Bassfiguren, Punkten und Linien beisteuert, lässt sich oft auch als Solo denken. Und Dieter Ulrich weiss mit sensibler Auswahl der Techniken und Materialien in bewusster Beschränkung rhythmisch komplex und klanglich differenziert zu arbeiten. In symbiotischen Verdichtungen ebenso wie in solistischen Entflechtungen wird der Konsens des Ansatzes spürbar, die Übereinstimmung der Intentionen ohne Verlust des Individuellen. Durch den Verzicht auf ein Harmonieinstrument bekommt das Ganze eine noch klarere Konturierung, gleicht es manchmal der Umsetzung von Ansichten eines Mobiles in bewegliche Klänge. Zwischen intellektueller Distanz und hingebungsvoller Expressivität entfalten sich unterschiedliche Facetten des Trios. Auch in der Abfolge der Stücke und in der Binnengliederung wie in den fliessenden Übergängen zwischen den Themen und Improvisationen herrscht jene Klarheit vor, die nicht mit Kühle zu verwechseln ist, die Emotionen hingegen deutlicher erscheinen lässt. 3less and more„ präsentiert einTrio, das eine Tugend des Jazz auf neue Weise erfahrbar werden lässt: Integration. Und in der Art des feinsinnigen Umgangs miteinander, mit den Klängen, Rhythmen, Strukturelementen zeigt sich auch: less is more.
Reviews
NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, NICK LIEBMANN
Gallio hat mit dem Schlagzeuger Dieter Ulrich und dem Kontrabassisten Dominique Girod ein anregendes Konzept entwickelt, in dem komponierte Teile und Improvisationen nahtlos ineinander übergehen. Die Musiker des ausgesprochen transparenten Trios tasten sich entlang vorgegebener Strukturen immer weiter in freiere Gefielde vor. Bei allen Freiheiten bleibt aber immer ein klarer Bezug zum thematischen und rhythmischen Ausgangsmaterial bestehen, bei aller Flexibilität folgt man einem roten Faden. Gerade das Fehlen eines beengenden Harmonieinstrument erlaubt es dem Trio, die vielfach an zeitgenössische Musik erinnernden Melodien in überraschende Richtungen zu biegen. Der Zuhörer begleitet die drei Musiker, die aus einer Aufnahmesitzung gleich zwei spannende CD („about„ percaso/RecRec, „less and more„ UNIT/Musikvertrieb) produziert haben, gerne auf ihren kurvernreichen Pfaden, die gewissermassen einen Hör-Lernweg darstellen.
VITAL WEEKLY, DAVID COTNER
Saxophone, double bass and drums. Does the rise and fall in silence andforce in each respective instrument reflect three musicians working together - or is it a mirror of each individual urge? How much interplay occurs of itself, without ego or conniving? There is a tenderness in the interplay here, a tentative courtship - or so it seems - because there is a great gap between meaning and communication of meaning, q.v. It is the music, however, of many late-night drives through the city, sodium lamps reflective in windows as the spectacle of the skyline is taken in, taken down... And the pieces blend into each other, without harshness or grates, a long alley of sound that hides from the sun passing overhead. There is a casualness to it, as the tones shrug and turn away, being as they are, to themselves. Day and taxi-ride? A late-night feel pervades, and as there may be a thousand stories in the naked city (with or without John), there are a thousand notes that make up this story - but what is it called? How is it called? Another chapter in a long line of jazz legacy? Or something unto itself? The taxi passes a fight, a street scene, a juggling of times and incidences. The window is rolled down to catch these instruments in the throes of a struggle that is barely heard as the movement continues and the energy dopplers past... There are moments threading through a trip that one might see in these pieces. Waiting for flowers, getting out and stretching of the legs, the curving grin of a sexual phantasy on moving, thinking of someone that the door reminded you of. Musical cues are ever-present in daily life; one tone from a half-heard piece - as it travels past in a taxi, say - can trigger and whole slate and spate of emotions and words and scents and gasoline. This is why every recording finds its audience. This is why sounds live forever.
IMPROVIJAZZATION NATION, ROTCOD ZZAJ AKA DICK METCALF
Christoph Gallio's group has been reviewed many times in this ‘zine, which is our good fortune. This CD is (again) highly creative & intriguing jazz, heavily leaning on Dominique Girod's double bass playing, but still keeping a focus on Christoph's wonderful saxophone (soprano/alto) artistry. Dieter Ulrich's drums are TOTALLY solid, holding the loose threads (when they appear) together & at the same time a part of the intricate web they weave. If you're expecting smooth and syrupy old hat jazz, you'll have to look elsewhere. This isn't power improve, but it's free enough to mean you must have a desire to hear between the lines.Very cleanly recorded and most enjoyable, those who love solid improvised jazz will agree with me when I declare this to be MOST HIGHLY RECOMMENDED in fact, it's the PICK of this issue for best improvised jazz work.
REVUE & CORRIGEE, MARIE-PIERRE BONNIOL
Tandis que DAY & TAXI emmené par le saxophoniste cool Christoph Gallio sort un nouveau bijou de free lascif emballé par une peinture urbaine d'Alex Katz, que je me met du vernis aux ongles en lieu et place de dégainer des talons hauts, et que je me frotte au métier de secrétaire sans grand succès ...
TAGES ANZEIGER, CHRISTIAN RENTSCH
Zarte Schönheit, genaue Geometrie. Das Zürcher Trio DAY &TAXI wiedersetzt sich dem gängigen Trend des Fetzens und Klotzens. Und leistet musikalische Feinstarbeit. DAY & TAXI steht in einer schmalen Tradition; allzu viele vergleichbare Gruppen kommen einem auf Anhieb nicht in den Sinn, das legendäre Trio des britischen Saxophonisten und Bassklarinettisten John Surman vielleicht, oder dasjenige des Franzosen Louis Sclavis, die erste eigene Gruppe von Urs Blöchlinger oder, in einem völlig anderen stilistischen Zusammenhang, ein Trio des deutschen Freejazzers Peter Brötzmann. Nicht zufällig, denn ein pianoloses Trio mit Saxophon, Bass & Schlagzeug hat seine Tücken: Im etwas dünnen Geflecht von bloss drei Linien fallen Schwachstellen so deutlich auf wie Fallmaschen an den Strümpfen. Der Saxophonist Christoph Gallio, der Bassist Dominique Girod und der Schlagzeuger Dieter Ulrich sind radikal: Sie versuchen weder mit stupender Virtuosität zu verblüffen wie Sclavis noch die Musik energetisch zu verdichten wie einst Brötzmann. Im Gegenteil: Ihr musikalisches Konzept lebt geradezu von der äussesten Verknappung der Mittel. Gallio spielt keine Phrase zuviel, oft sind es bloss kurze Motive, die sich wiederholen, ohne Furore verändern, sich verformen, ausfransen oder zersetzen; dann folgt ein zweites Motiv, und wenn die Saxophonlinie für Momente ein klein wenig wuchert, dann mit einem etwas spröden, fast asketischen Gestus. Der Bass tupft seine Töne sorgsam darunter, das Schlagzeug dengelt knappe rhythmische Muaster, jede Schlagfolge hat eine genaue Geometrie. So entstehen höchst sublime und spröde Klangbilder von zarter Schönheit, die ihre nicht minder grosse Spannung weniger aus den übergreifenden Bögen, sondern aus den kleinsten Verschiebungen und Reibungen der Binnehnstrukturen beziehen. Ein ungewohntes, aber faszinierendes Hörerlebnis. Tages Anzeiger, Christian Rentsch
JAZZPODIUM, BENNO BARTSCH
Über verschiedene personelle Metamorphosen hinweg besteht das Trio um den Zürcher Alt- und Sopransaxophonisten Christoph Gallio bereits seit 1988, und diese lange Zeit der Zusammenarbeit trägt natürlich Früchte, denn die Dreiecksbeziehung funktioniert grossartig: sensible Zweistimmigkeit zwischen Gallio und dem jungen Bassisten Dominique Girod, dazu der rhythmische Spürsinn des Schlagzeugers Ulrich, der stets die richtigen Akzentuierungen und komplementären Verdichtungen findet. Gallio selbst hat die mittlerweilen dritte CD des Trios produziert, deren musikalisches Material der Aufnahmesitzung für den Vorgänger "About" entstammt. Aber die Musik dieser CD ist alles andere als Restverwertung. Der Ton des Saxophonisten pendelt zwischen lyrischer Zartheit und auftrumpfender Expressivität, und es klingt natürlich vieles an, was man als die "Tradition der Moderne" bezeichnen könnte, Altbekanntes wie die Repetitionsfiguren des Altmeisters Steve Lacy, die näselnde Sopranrhetorik eines John Coltranes, aber alles verinnerlicht, sublimiert, neu gemischt und in ein sehr individuelles musikalisches Vokabular überführt, gebändigt durch einen bedingungslosen, vielleicht sehr europäischen Formwillen, der keinen überflüssigen Ton zulässt. Die 13 Kompositionen - von denen 11 Gallio beigesteuert hat - regeln bis in die freiesten Momente hinein die melodischen und rhythmischen Bezüge. Bert Noglik, der die Liner Notes schrieb, hat es auf den Punkt gebracht: "Übereinstimmung der Intentionen ohne Verlust des Individuellen". Genau dies ist es, was die Qalität dieses Trios ausmacht. "The Art of the Trio", so könnte das Oeuvre des Trios überschrieben werden, denn so mustergültig grossartig bekommt man Triomusik nur selten zu hören: neue Klassizität in Reinkultur.
NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, NICK LIEBMANN
Strenge Formen, freie Improvisationen und Künstlerpech. Die Kunst des Wahlzürcher Saxophonisten Christoph Gallio ist vielschichtig. Seine Kompositionen folgen strengen, subtil austarierten Formen, bieten aber auch ausreichend Platz für ausladende, freie Improvisationen. Sein Ton auf Alt- und Sopransaxophon erinnert einmal eher an die Spielweise seiner Kollegen aus dem «ernsten» Fach, dann wieder an die rauheren Idiome progressivster Jazzer. Von einem Extrem ins andere springt auch Gallios Ausdruck während der improvisierten Teile. Mal wirken seine geschickt gestalteten Linien klagend und weltverloren, mal verspielt-angriffig. Gallios Trio «Day & Taxi», das er seit mehr als zehn Jahren mit minimalen Besetzungswechseln leitet, vermochte in einem Mittagskonzert im Zentrum Karl der Grosse voll zu überzeugen. Die wenigen Zuhörerinnen und Zuhörer wurden Zeugen eines ausgereiften Interplay zwischen Gallio, dem virtuosen Kontrabassisten Dominique Girod und dem einfallsreichen Schlagzeuger Dieter Ulrich. Ob Rubato oder Puls, ob intim balladesk oder extrovertiert eruptiv - die hellhörigen Instrumentalisten schienen die Intentionen der eng vertrauten Partner blitzschnell zu erfassen und umzusetzen, komplementierten sich in geradezu idealer Weise. Faszinierend, wie Girod in einem Solo ein komplexes Ostinato graduell verfremdete, ohne je sein Publikum zu «verlieren», bewunderungswürdig, wie Ulrich rasch und mit grösster Selbstverständlichkeit von sanftestem Streicheln der Felle zu härtestem Energy Playing wechselte. Schade nur, dass Gallio dem aufmerksamen Publikum nicht alle seine jüngsten Kreationen vorstellen konnte. Just während eines «Laetitia» gewidmeten Stücks zerbrach sein Sopransaxophon buchstäblich in zwei Teile, so dass für den Rest des Konzerts nur noch Kompositionen für Altsaxophon in Frage kamen. Zürich, Zentrum Karl der Grosse, 5.März 2000